Der Ortler (italienisch Ortles) ist mit einer Höhe von 3905 m der höchste Berg der italienischen Provinz Südtirol und der Region Tirol. In den frühen 1980er Jahren stand ich zum ersten mal auf seinem Gipfel. Seitdem zog es mich immer wieder nach Sulden, den Talort für die Besteigung. 2014 war ich letztmals dort, um diesmal nicht den Normalweg über die Payerhütte, sondern den anspruchsvolleren Anstieg über den Hintergrat zu machen.
Somit war klar, dass die erste Austragung der Ortler Sky Trails für mich eine Pflichtveranstaltung sein würde. Angeboten werden dabei vier Distanzen: Vom Ortler vertical (1 km, 500 hm) bis Stelvio Ultra Trail mit 73 km und 5.000 hm.
Die Ortler Sky Trails sind aus der Ortler Mountain Challenge for ALS, einem Rad- und Laufevent, hervorgegangen. Die Organisatoren kommen aus Belgien und unterstützen mit der Veranstaltung die Erforschung von ALS (Amyotrophe Lateralsklerose, einer Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems) und die daran Erkrankten.
Auf der Website fanden sich die für mich wesentlichen Informationen. Die Anmeldung über wedosport war unkompliziert. Lediglich das für Italien erforderliche Attest bescherte mir noch einen Arztbesuch.
Zur Anreise verabredete ich mich mit Uwe Herrmann in Bag Grönenbach. Von da aus fuhren wir gemeinsam weiter nach Sulden. Den Freitag vor dem Lauf nutzten wir, um einen Teil der Strecke zu erkunden und uns entspannt auf den Ultra-Trail-Start am Samstag um 04:00 h vorzubereiten.
Vom Startgelände an der Tennishalle von Sulden ging es noch bei Dunkelheit eine kleine Runde durch das schlafende Dorf. Das sollte dann auch der wesentliche Asphaltanteil des Laufs gewesen sein. Auf Singletrails und später dem Zufahrtsweg geht es knappe 7 km und 800 Höhenmeter hinauf zur Schaubachhütte
(2.581 m). Auf halber Strecke wird es hell.
Gran Zebru (Königsspitze) und Zebru zeigen sich im Morgenrot. Ab der Schaubachhütte ist das Gletscherbecken unterhalb der Felswände zu queren. Der Gletscherweg führt über Moränenschutt, Schneefelder und die Reste des Suldenferners zur Hintergrathütte.
Das Panorama ist beeindruckend und der Schnee noch fest genug, um keine nassen Füße zu bekommen. Nach ca. 2 1/2 Stunden erreiche ich die Hintergrathütte (11,9 km). Dann geht es zunächst bergab zur Bergstation des Langensteinlifts (14,8 km), wo sich die nach der Schaubachhütte die 2. Verpflegungsstation befindet. Das Angebot an den VPs ist überschaubar: Salzgebäck, Äpfel, Bananen, Orangen, Rosinen und Kuchen. Zu trinken gibt es ausschließlach Wasser. Ein Beutel mit Maltodextrose steht auch da. Daran ändert sich auch an den weiteren 6 Stationen nichts. Die Organisatoren haben aber für die nächste Austragung Besserung gelobt.
Jetzt beginnt der Aufstieg zur Tabarettascharte (ca. 2.900 m). Die knapp 600 Höhenmeter dorthin ergeben sich ohne großen Widerstand. Die Nordwand des Ortlers und die auf ca. 3.000 m Höhe gelegene Payerhütte liegen in der Morgensonne.
Inzwischen ist es hochalpin geworden. Die Vegetation besteht nur noch aus ein paar Flechten und an einigen wenigen Stellen wurzelnde Pflänzchen.
Der Weg führt über die Nordflanke und ist stellenweise versichert. Gleich beginnt der lange Abstieg hinunter ins Trafoier Tal. Runde 1.400 Höhenmeter lassen das Motto des Laufs ("pray for your legs") in einem anderen Licht erscheinen.
Unterbrochen wird der Abstieg immer wieder durch ausgedehnte Querungen von Schneefeldern.
Über die Berglhütte (Rifugio Borletti) führt der Abstieg bis zur "Kapelle der drei Brunnen" (Santuario) im Talgrund auf 1.595 m. Getrübt wird das Vergnügen etwas durch den Straßenlärm, der von der Passtraße zum Stilfserjoch herübergetragen wird. Dort sind zwei- und vierrädrige Sportfahrzeuge auf dem Weg zum Cappucino-Stop auf der Passhöhe unterwegs. Die meisten davon können laut. Verwunderlich ist, dass es offensichtlich doch eine friedliche Koexistenz mit den ebenfalls massenhaft anzutreffenden Rennradmobilisten gibt.
Wegen zu viel Schnee dürfen (oder müssen?) wir nur bis zur Passhöhe beim Alpengasthof Tibet auf 2.800 m. Die vorgesehen Schleife zum Hotel Baita Ortler wurde aus Sicherheitsgründen gestrichen. Geschenkt werden uns die dadurch eingesparten ca. 200 Höhenmeter allerdings nicht. Sie warten auf uns bei km 68 vor der letzten Verpflegung.
Das schon erwähnte dürftige Angebot an den VPs wird durch nette und gut gelaunte HelferInnen kompensiert. Ich wühle mich durch die Menschen und Fahrzeuge an der Passhöhe und mache mich schnell aus dem Staub. Das Rifugio Garibaldi bleibt links liegen und eine angenehm laufbare Passage beginnt. Der Weg führt tendenziell bergab, wird aber immer wieder durch Schneefelder unterbrochen.
Die Zeitlimits sind auch für einen langsamen Läufer wie mich ausreichend bemessen. Zwei Stunden vor der Cutt-Off-Zeit verlasse ich das Rifugio Forcola (km 48,4). Mit 3 Gegenanstiegen geht es jetzt zum tiefsten Punkt der Strecke bei der Stilfser Brücke (Ponte allo Stelvio) auf 1.120 m. Kurz vor Erreichen des Talgrunds gewittert es. Ich kann mich für ein paar Minuten unter einer Baumgruppe unterstellen. Dann lässt der Regen auch schon wieder nach.
Im Tal zeigt die Uhr knappe 59 km an. Die restlichen 14 km sind mit einem nochmaligen Anstieg auf ca. 2.500 m garniert. Insgeheim hoffe ich noch auf eine Zielzeit von unter 20 h. Mit Einbruch der Dunkelheit nehme ich aber Abschied von dieser Vorstellung. Ein paar Mal habe ich Schwierigkeiten, den eigentlich ganz ordentlich markierten Weg auf Anhieb zu finden. So laufe ich erst kurz nach Mitternacht nach einem nochmaligen steilen Downhill im Ziel ein (Laufzeit 20:05:30 h). Der Empfang ist herzlich. Es gibt eine Holzmedaille und als Finishergeschenk eine Flasche belgisches Bier. Eine davon vernichte ich gleich gemeinsam mit einem italienischen Laufkollegen, mit dem ich eine zeitlang unterwegs war.
Gewonnen hat bei den Herren der Österreicher Peter Kienzl (10:01:07 h), bei den Damen die Deutsche Erika Chaari (13:46:52 h). Petru Muntenasu und Uli Calmbach liefen ein tolles Rennen und belegen Platz 4 und 5. Alle Ergebnisse gibt es bei Wedosport
Mein Fazit:
Der Stelvio Ultra Trail ist Trail pur. Mit Ausnahme der Startschleife und eines kurzen Stücks an der Stilfser Brücke hat es keinen Asphalt. Die Streckenführung ist genial schön. Der Ortler ist nahezu immer im Blickfeld. Wir hatten, abgesehen von dem kurzen Gewitter, beste Bedingungen. Bei Schlechtwetter sehe ich allerdings einige recht heikle Passagen.
Wenn man berücksichtigt, dass der Lauf in dieser Form zum ersten Mal ausgetragen wurde und die Organisatoren das Ganze aus dem fernen Belgien angeleiert haben, gibt es nichts zu meckern. Ich weiß nur zu gut, dass die Unterstützung duch lokale Helfer vieles einfacher macht. Das soll auch für 2020 umgesetzt werden. Deshalb: Der Stelvio Ultra Trail ist eine absolute Empfehlung für alle, die nicht zwingend den Rummel einer Großveranstaltung brauchen.